Terrakotta-Armee
Am 29.3.1974 gruben Bauern auf einem Stück Land, ca. 28 km von der 7-Millionen-Stadt Xi'an entfernt, einen Brunnenschacht. Wären sie wie erhofft auf Wasser gestoßen, wüsste ich wohl kaum von diesem Vorgang. Sie fanden jedoch Tonscherben und Pfeilspitzen, die zur heute legendären Terrakotta-Armee des Kaisers Qin Shihuangdi, des Begründers der Qin-Dynastie (221-207 v. Chr.), gehörten. Qin Shihuangdi war der erste Kaiser, der ganz China unter seiner Regentschaft vereinte, und entsprechend groß waren seine Macht und sein Reichtum. Angeblich sollen bis zu 700.000 Menschen über 30 Jahre lang an seiner Grabanlage gebaut haben, zu der auch die Terrakotta-Armee gehört. Der Kaiser soll ursprünglich den Plan gehabt haben, seine Leibgarde von 8.000 Elitesoldaten samt Ausrüstung mit ins Grab zu nehmen. Nachdem man ihn mühsam überzeugt hatte, dass dies dann doch eine etwas zu große Verschwendung von Mensch und Material sei, ließ er seine Krieger als lebensgroße Tonfiguren nachbauen, in Schlachtreihe aufstellen (erst die Kavallerie, dann die Infanterie und schließlich die Bogenschützen) und mit seinem Leichnam einmauern. Vor dem ca. 20 ha großen Museumskomplex befindet sich eine riesige Statue Qin Shihuangdis. Wir trafen am frühen Morgen dort ein, und zum Glück schien - wie versprochen - endlich die Sonne.

 
 

Kaiser Qin
Shihuangdi
 
Impression (1)

Terrakotta-Armee (1):
 

 
 
Impression (2)
 
Es gibt noch
viel zu tun

Die Terrakotta-Armee stellt nur einen kleinen Teil der unterirdischen Grabanlage von Qin Shihuangdi dar. Das eigentliche Grab, ca. 1,5 km östlich des Fundortes der Armee gelegen, ist noch gar nicht geöffnet, wobei die Gründe hierfür vielschichtig sind. Vor allem fehlt wohl das Geld für eine derart aufwendige archäologische Ausgrabung. Auch die der Terrakotta-Armee gewidmete Anlage befindet sich in ständigem Ausbau. Gegenwärtig sind drei Gruben zugänglich, von denen die erste mit gut 1.000 Soldaten und Pferden die mit Abstand größte und eindrucksvollste ist. Man betritt eine Halle, die an einen Flugzeughangar erinnert, und schaut von einem Plateau aus auf 11 Reihen mit Terrakotta-Soldaten herab. Man kann auch einmal um die Ausgrabungsstätte herum gehen und kommt dabei bis auf wenige Meter an die Figuren heran. Der Wind des Historischen weht durch diese Halle. Besonders eindrucksvoll ist, dass jede Figur individualisiert ist, d.h. vor allem eigene Gesichtszüge aufweist. Auch die Haare und die Uniformdetails sind vielfach unterschiedlich. Es handelt sich eben nicht um fiktive Soldaten, sondern um die in Ton gegossene Leibgarde des Kaisers!

Individuell modellierte Gesichter:
 

Die Terrakotta-Soldaten waren früher allesamt bemalt und bewaffnet. Die Bemalung hat sich leider nur an ganz wenigen Figuren (und dort auch nur in Resten) erhalten. Auch Waffen gibt es nur noch wenige, denn die Bögen und Speere aus Holz sind vollständig verwittert. Vieles fiel auch Grabräubern zum Opfer, denn schon kurz nach dem Tode Qin Shihuangdis gab es gegen seinen Nachfolger einen Bauernaufstand, und die Bauern holten sich ihre Waffen z.T. aus dem Grab. Man sieht an der Haltung der Figuren aber noch deutlich, welche Waffe sie geführt haben; zum Beispiel zeigt das kleine Bild links einen knienden Bogenschützen.

In der deutlich kleineren Grube 2 kann man sogar einige Wagenlenker samt ihrer Wagen und Pferde bestaunen. Dort sind auch einige besonders gut erhaltene Exemplare gesondert ausgestellt, darunter die mit 1,91 m größte Figur der ganzen Armee. Grube 3 ist weniger eine Grube als mehr ein Museum, das u.a. zwei kaiserliche Wagen aus Bronze zeigt, die in der Nähe des Kaisergrabes gefunden wurden. Sie wurden in sechsjähriger Kleinarbeit aus den zerfallenen Originalteilen wieder zusammengesetzt. Hier findet sich auch eine ausführliche Dokumentation der bisherigen Ausgrabungsarbeiten, über die man sich in einem eigens errichteten Panoramakino auch einen 20minütigen Film ansehen kann.

Im Museumsshop wartete dann noch eine kleine Besonderheit auf uns: Wir schrieben den 30. April, und zum "Fest der Arbeit" am 1. Mai hatte man extra den Original-Bauern kommen lassen, der damals die Armee (mit) entdeckt hatte (Bild rechts). Der gute Mann saß auf einem Stuhl, rauchte gemütlich seine Zigarre und signierte ein Buch nach dem anderen. Ehrensache, dass auch ich mir ein Autogramm geben ließ. Meine ursprüngliche Vermutung, dass man für die Touris irgend einen Bauern da hingesetzt und als Entdecker ausgegeben hat, bestätigte sich zum Glück nicht, denn in dem Museum in Grube 3 befindet sich ein Foto, das Bill Clinton bei seinem Besuch 1998 mit eben jenem Bauern zeigt. Wenn man Bill also nicht auch einen Bären aufgebunden hat, war unser Bauer echt! Im Museumsshop konnte man übrigens auch Nachbildungen der Terrakotta-Soldaten jeden Formats erwerben, darunter auch lebensgroße für den eigenen Garten. Knapp 1.000 Euro hätte der Spaß gekostet (Versand nach Deutschland und Versicherung inklusive). Am Ende zäher Verhandlungen gab ich mich aber doch mit einem handlichern Exemplar zufrieden.

Auf der Anlage gibt es - wie gesagt - noch unendlich viel zu tun. Inzwischen wurde z.B. eine weitere Grube gefunden, in der 16 Musiker aus Terrakotta und lebensgroße Kaninchen aus Bronze enthalten sein sollen. Diese Grube ist aber noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Jedem fertigen Soldaten stehen sicherlich drei oder vier noch verschüttete oder teilweise zerstörte Kameraden gegenüber (Bild links). Dies lässt erahnen, welch gigantische Ausmaße ein Projekt zur Freilegung des ganzen Grabes haben würde. Vielleicht erleben wir es noch. Die Terrakotta-Armee gehört jedenfalls zum Unglaublichsten und Beeindruckendsten, was wir auf dieser Reise erleben durften.

Terrakotta-Armee (2):
 


 

Eingang zu Grube 1 In Grube 1 Impression Miniaturwagen, Grube 3

Stehlenwaldmuseum
Nach der Terrakotta-Armee fuhren wir zurück nach Xi'an, wo wir das örtliche Stehlenwaldmuseum besichtigten. Unter einer Stehle hat man sich eine Steintafel mit Schriftzeichen vorzustellen, in diesem Fall natürlich mit chinesischen Schriftzeichen. Diese Steintafeln standen in verschiedenen Pavillons, die ihrerseits sehenswert waren. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir ein wenig über die chinesische Schrift. Insgesamt gibt es ca. 50.000 Zeichen, die aber kein Chinese wirklich beherrscht. Am Ende der Grundschulzeit sollten es 3.000 Zeichen sein, womit man problemlos durch den Alltag kommt. Wer eine weiterführende Schule besucht, beherrscht am Ende das Doppelte, und nach einer universitären Ausbildung haben die Besten ca. 10.000 Zeichen parat. Die Zeichen haben sich im Laufe der Zeit vielfach verändert, d.h. sie wurden vereinfacht. Die Leserichtung war früher von rechts nach links, heute ist es umgekehrt. Ein Zeichen kann mehrere Bedeutungen haben, und ein Wort kann sich aus mehreren Zeichen zusammensetzen. Das Verständnis der Schrift erschließt sich daher erst aus dem konkreten Zusammenhang der Zeichen. Man darf diese also nie isoliert betrachten, sondern muss sie immer in den Kontext der anderen Zeichen einbinden. Beispiel: Das Zeichen "" bedeutet "Mensch", "" hingegen "Volk" (viele Menschen). Das erste Zeichen kann also "Mensch" bedeuten oder Teil des Wortes "Volk" sein; eine richtige Deutung ist ohne Kenntnis des zweiten Zeichens nicht möglich.

Stadtmauer
Zum Abschluss des Tages gingen wir noch zur Stadtmauer, die nur einen Steinwurf entfernt am Stehlenwaldmuseum vorbei führt. Sie ist ca. 600 Jahre alt, bildet einen Ring von knapp 14 km Umfang um die Innenstadt und befindet sich, da frisch restauriert und mit vielen roten Fahnen und Glücksbändchen geschmückt (Bild links), in einem sehr ansehnlichen Zustand. Dass dem so bleibt scheint sichergestellt, denn während wir auf der Mauer herumliefen, konnten wir chinesische Arbeiter beobachten, die buchstäblich mit der Zahnbürste das Unkraut aus den Fugen entfernten. Nachts wird die Mauer mit ihren zahlreichen Wachtürmen wunderbar beleuchtet (siehe dazu die Fotos unten). Auf Anregung der Gruppe wurde deshalb für den nächsten Abend eine Lichterfahrt ins Programm aufgenommen.

Unser erster Tag in Xi'an ging nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel mit einem Maultaschenessen nach traditioneller chinesischer Art zu Ende, anlässlich dessen uns neben einem guten Dutzend kleiner Maultaschen mit verschiedenen Füllungen auch ein Rachenputzer namens "Terrakottaschnaps" kredenzt wurde. Vor dieser örtlichen Spezialität kann ich nur warnen, denn der Schnaps schmeckt scheußlich und verursacht auch nach mäßigem Genuss Dank seines Alkoholgehalts von über 50% ein Schädelbrummen der lauteren Art.

 

Auf der Stadtmauer:
 

Goldene Woche
An diesem Tag schrieben wir den 1. Mai, der in China als "Tag der Arbeit" ebenso ein Feiertag ist wie in Deutschland. In China schließt sich an diesen Tag jedoch die "goldene Woche" an, in der alle Chinesen gleichzeitig Urlaub haben. Über 300 Millionen von ihnen gehen in dieser Zeit auf Reisen, die meisten von ihnen im eigenen Land. Der Andrang an den Sehenswürdigkeiten, ohnehin schon gewaltig, versprach infolgedessen unbeschreiblich zu werden. Hätte uns ein Reiseführer oder der Prospekt von Meiers Weltreisen im Vorfeld darauf aufmerksam gemacht, hätten wir selbstverständlich eine andere Zeit gebucht, doch ein solcher Hinweis war nirgends zu finden! Also hieß es, das Beste aus der Situation zu machen.

Große Moschee
 An der "Großen Moschee", der ersten Sehenswürdigkeit an diesem 1. Mai, war es wider Erwarten überhaupt nicht voll. Um sie zu erreichen, muss man einen kleinen Fußmarsch durch das muslimische Viertel antreten, der uns über einen Markt führte, auf dem schon reges Treiben herrschte. Die Moschee ist im klassischen chinesischen Stil gebaut und sieht deshalb so ganz anders aus als bspw. die Moscheen in Kairo. Ming-Kaiser Taizu schenkte sie den Hui-Muslimen als Dank für ihre Hilfe im Kampf gegen die Mongolen. Berühmt sind das Eingangstor (kleines Bild rechts) und die beiden Stehlen im zweiten der fünf Höfe, auf denen sich die berühmten chinesischen Kalligrafen Mi Fu (1051-1107) und Dong Qichang (1555-1636) verewigt haben.
 

Minarett in der Großen Moschee:
 

Wildganspagode
Inmitten der riesigen Anlage des buddhistischen "Tempels der großen Gnade und Güte"  steht die nach der Terrakotta-Armee zweitberühmteste Sehenswürdigkeit in Xi'an, die Wildganspagode. Sie wurde 652 n.Chr. als Aufbewahrungsort für die 600 Sanskritttexte errichtet, die der berühmte buddhistische Mönch Xuanzang (602-664) von seiner Indienexkursion mitbrachte. Ihren seltsamen Namen erhielt die Pagode nicht wegen ihres Aussehens, das nun wirklich nicht das Geringste mit einer Wildgans zu tun hat, sondern der Legende nach, weil Xuanzang in Indien Hunger leiden musste, Buddha um ein Stück Fleisch anflehte und daraufhin eine Wildgans vom Himmel gefallen sein soll. Wahrscheinlich knusprig gebraten.

Jedenfalls ist die Wildganspagode - wie der ganze Tempel - sehr sehenswert, auch wenn auf dem Gelände immer viel gebaut wird. Viele alte chinesische Abschriften der Sanskrittexte sind erhalten und in diversen Pavillons ausgestellt. Neben zahllosen Touristen - hier war es trotz der Weitläufigkeit des Tempelareals schon arg voll - sah man immer wieder Gläubige, die betend vor Buddha-Statuen niederknieten (Bild links), und Mönche, die mit der Pflege ihrer Kultstätte beschäftigt waren. Das schöne Wetter tat sein Übriges, um uns den Besuch des Tempels zu versüßen.
 
 

Wildganspagode:
 

Glockenturm
Anschließend besichtigten wir noch eine Jadeschleiferei, wo es nach einer kurzen Einführung in die Kunst der Jadebearbeitung wieder Gelegenheit zum Einkaufen gab. Jade muss - wie ich vor Ort gelernt habe - nicht immer grün sein. Es gibt sie vielmehr in diversen Farben, und je nach Dichte des Materials kann sie lichtdurchlässig sein, was besonders schöne Effekte ermöglicht. Das Mittagessen nahmen wir in der Nähe des Glockenturms ein, des Wahrzeichens der Stadt Xi'an (kleines Foto rechts und große Bilder unten in der Nachtansicht). Der Legende nach versiegelt der Glockenturm einen Brunnen, in dem eine riesige Schildkröte gefangen ist, die - noch in Freiheit - für viele Erdbeben und Überschwemmungen verantwortlich war. Aha.

Lichterfahrt
Den Nachmittag verbrachten wir zur Erholung im Hotel, bevor es am Abend noch auf die erwähnte Licherfahrt ging. Diese Fahrt gehört für mich aus drei Gründen zu den Höhepunkten der gesamten Reise: Erstens und vor allem wegen der wunderschön angestrahlten Gebäude und des Wasserspiels vor der Wildganspagode mit klassischer Musik (Mozart). Zweitens wegen der Menschen, die an diesem Feiertag an diversen Plätzen zusammen gekommen waren und in aller Öffentlichkeit ausgelassen tanzten und musizierten. Und drittens wegen der Busfahrt durch die Stadt, die ich in meinem Leben nie vergessen werde. Was unser junger Busfahrer in diesem irren Verkehr geleistet hat, war gottgleich und brachte ihm mehrfach Szenenapplaus ein. Nur ein Beispiel: Um den Platz vor der Wildganspagode zu erreichen, auf dem das Wasserspiel abgehalten wurde, mussten wir zu Fuß eine Straße überqueren, die wegen der endlosen Kette von unberechenbar durch die Gegend heizenden Autos nicht zu überqueren war. Was macht unser Busfahrer? Lässt uns aussteigen, zieht mit seinem Bus quer über die zweispurige Fahrbahn, blockiert sie auf diese Weise und wartet in aller Ruhe, bis wir - sicher geschützt hinter seinem Bus - die andere Straßenseite erreicht hatten. Ganz großer Sport!

 

Xi'an bei Nacht:
 


 

Glockenturm Wildganspagode mit
Wasserspiel
Südtor der Stadtmauer Stadtmauer-Impression

Am nächsten Tag endete unser Aufenthalt in Xi'an, das übrigens Partnerstadt von Dortmund ist, mit dem Flug nach Beijing, der letzten Station unserer Rundreise. Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass Xi'an, so abgelegen es auch sein mag, ein Muss auf jeder Chinareise ist. Dies schon wegen der Terrakotta-Armee, aber auch wegen der übrigen Sehenswürdigkeiten.