Von Khimsar aus
ist es nur ein Katzensprung (60 km) nach Osian, unserer
nächsten Station. Vor den Toren dieser kleinen, mitten in der
Wüste Thar gelegenen Stadt gibt es ein "Camel Camp". Dort
sollten wir in einem Zelt übernachten. Dieser Programmpunkt
hatte uns zu Hause etwas Sorgen gemacht. Nicht wegen der
Unterbringung im Zelt, denn diese verfügten über allen Komfort
(fließendes Wasser, Toilette usw.), aber weil ausgerechnet zum
Zeitpunkt unseres Aufenthalts dort eine große Konferenz
stattfinden sollte, und unser Reiseveranstalter uns deshalb
trotz bereits erfolgter Buchung in ein anderes, 150 km
entfernt gelegenes Camp abschieben wollte. Wir hatten
natürlich keine Lust, 300 km für nichts quer durch die Wüste zu
fahren, und nachdem wir im Reisebüro insistierten, bestätigte
man uns schließlich doch die Buchung für das Camel Camp Osian.
Vor Ort waren wir also gespannt, was es mit der "großen
Konferenz" auf sich haben würde.
Was wir nicht ahnten: Es handelte sich um eine Konferenz der
Bayer AG, Sektion Indien! 400 Inder tagten in einem riesigen
Plastikzelt, zwischen ihnen sprang ein geschätztes Dutzend
deutscher Manager herum. Und was wir noch weniger ahnten:
Neben der Konferenz waren wir die einzigen Gäste!
Dementsprechend erfreuten wir uns ungeteilter Aufmerksamkeit.
Der Manager des riesigen Camps begrüßte uns persönlich, führte
uns durch die Anlage und machte uns auch noch mit dem Inhaber
- einem indischen Multimillionär - bekannt. Abends
veranstaltete man nur für uns ein Abendprogramm mit Gesang und
Tanz ("Your entertainment program is ready, Sir"), und zu den
Mahlzeiten hatten wir das Restaurant für uns allein. Alles war
romantisch arrangiert, ein einzelner eingedeckter Tisch mit
Kerzenlicht und 3-Gänge Menü. Die Konferenz hatte sich
glücklicherweise zu einem Fest außerhalb des Camps verzogen.
Nach dem Essen luden uns der Inhaber und seine weibliche
Begleitung - eine attraktive mexikanische Designerin, mit der
zusammen er ein weiteres Camp plant - sogar noch zu einem
gemütlichen Beisammensein auf ein Glas Rum ein. Man plauderte
über Länder und Kulturen und lästerte über die
Konferenzteilnehmer, die vor allem dem Manager viel
Kopfzerbrechen bereiteten. Ich entschuldigte mich zunächst für
meine Landsleute, bekam aber zur Antwort: "The problem are not
the Germans, my friend. The problem are my fellow Indians.
They complain about everything, are very demanding, don't
stick to the timetable and drink until 2 a.m. in the morning.
I need a looong holiday, should I survive this..."
Wir haben in Indien viel Gastfreundschaft erfahren, aber was
uns im Camel Camp Osian entgegenschlug, war unbeschreiblich.
Bei uns hätte man zwei Gäste, die sich unbedingt zwischen eine
Konferenz drängeln mussten, doch achtlos beiseite geschoben,
wenn man sie denn überhaupt zugelassen hätte. Und dort
betreute man uns mit einer aufrichtigen Freundlichkeit, dass
es uns fast peinlich war, diese Umstände
gemacht zu haben. Bis
zum Inhaber persönlich hatte sich herumgesprochen, dass es da
zwei Deutsche gab, die sich nicht vertreiben ließen, und er
war nach seinem Verständnis von Vertrags-treue und
Gastfreundschaft eben der Meinung, dass man eine bestätigte
Buchung nicht einfach absagen könne. Und dass es Gästen an
nichts fehlen sollte, war für ihn selbstverständlich.
Für Abwechslung war im Camel Camp übrigens auch gesorgt.
Nachmittags ritten wir auf zwei Kamelen aus. Ich hatte anfangs
wenig Lust auf diese Touri-Veranstaltung (tatsächlich gibt es
nun einige wenig vorteilhafte Fotos von mir), aber am Ende war
es doch ganz witzig. Ich hatte mir ein ruhiges, trampeliges
Kamel erbeten, das ich kurzehand "Alfons" taufte, während
meine charmante Reisebegleitung sich ein Turbo-Kamel wünschte,
das sie "Speedy" nannte. Nachher erfuhren wir, dass mein Kamel
in Wirklichkeit "Mummel" und ihres "Ranshee" hieß, was
natürlich wie die Faust aufs Auge passte. Übrigens ist eine
Kameltour nichts für Leute ohne Sitzfleisch!
Nach einer Nacht, in der wir uns davon überzeugen konnten,
dass die Wüste wirklich lebt, hieß es Abschied nehmen vom
Camel Camp Osian und auf nach Jodhpur, der zweitgrößten Stadt
Rajasthans. Dort war als erster Programmpunkt die Besichtigung
des Meherangarh Fort vorgesehen. Durch ein Foto im BILD Atlas
Rajasthan wurden wir jedoch auf die am Stadtrand gelegenen
Mandore Gardens aufmerksam, die eigentlich nicht auf dem Plan
standen und im Reiseführer mit drei Zeilen abgetan wurden. Zum
Glück ließen wir uns davon nicht beirren und dirigierten
unseren Fahrer dorthin, denn die Mandore Gardens sind absolut
überwältigend, ein echtes Highlight der Reise! Dort stehen in
einer Parklandschaft Grabdenkmäler ("Chattris" genannt), in
denen sich ab dem 16. Jahrhundert die örtlichen Herrscher
bestatten ließen.
Diese aus rotem Sandstein bestehenden Bauten
sind architektonisch äußerst spektakulär und sehr gut
erhalten. Am Ende des Gartens schließt sich eine "Heldenhalle"
mit 16 aus dem Fels gemeißelten, bunten
Götterskulpturen an.
Alles sehr schön gemacht. Als wohltuend im betriebsamen Indien
empfanden wir auch die im Park herrschende Ruhe.
Einziges
Manko: Aus den Mandore Gardens hätte man noch viel mehr machen
können. Es lag z.B. überall Müll herum, den man ohne großen
Aufwand hätte beseitigen können. Warum nimmt man nicht drei
Euro Eintritt und bezahlt davon ein Dutzend Gärtner? Dazu ein
gemütliches Cafe inmitten des Parks, und schon wäre ein
kleines Paradies entstanden.
Nach dieser kleinen Exkursion ging es nicht direkt zum
Meherangarh Fort, sondern erst zum in unmittelbarer Nähe des
Forts gelegenen Jaswant Thada, dem Mausoleum des 1895
verstorbenen Maharajas Jaswant Singh II (und seiner
Nachfolger). Dieses 1899 fertig gestellte, aus weißem Marmor
bestehende Grabmahl sieht aus wie ein Palast. Vor dem Eingang
berichtete unser örtlicher Reiseleiter sehr eindrucksvoll über
den Totenkult der Hindus. Sodann hatten wir Gelegenheit, das Innere
zu besichtigen. Selbiges ist
allerdings weniger spektakulär als die Fassade, nur ein großer Raum mit
einigen schlichten Skulpturen jüngeren Datums. An einer quer
durch den Raum gespannten Wäscheleine waren einige Dutzend
Taschentücher festgeknotet. Soll Glück bringen, sagte man uns.
Nur einige hundert Meter vom Jaswant Thada entfernt thront
Meherangarh Fort über Jodhpur. Der rote Sandsteinbau
wurde 1459 von Rao Jodha gegründet, dem Namensgeber Jodhpurs. Von
seinen Zinnen aus hat man einen überwältigenden Blick über die Stadt
mit ihren blauen Häusern.
Übrigens ranken sich einige Legenden um die Frage, warum so
viele Häuser in Jodhpur blau gestrichen sind. Im Reiseführer
stand, dass die Farbe früher den Brahmanen (Priestern)
vorbehalten war, und nach und nach auch die einfachen Leute
ihre Häuser blau strichen. Ein Reiseleiter gab uns
demgegenüber zur Auskunft, die Farbe solle an den Pfau
erinnern, ein in Indien sehr verehrtes Tier. Beides ist jedoch
Unsinn. In Wahrheit stellten die Bewohner fest, dass blaue
Häuser von Termiten verschont blieben, die in Jodhpur
ansonsten eine echte Plage sind. Tatsächlich beinhaltet die
blaue Farbe einen Wirkstoff, der Termiten fernhält. Und so besorgten
sich die um ihre Bausubstanz besorgten Eigentümer eimerweise blaue
Farbe und pinselten ihre Häuser damit an. Diese wenig romantische
Erklärung macht das Stadtbild allerdings nicht weniger
eindrucksvoll:
Meherangarh Fort ist von außen wegen seiner Größe und seiner
Lage auf dem Hügel sehr beeindruckend. Die Hügellage machte es
übrigens auch uneinnehmbar, obwohl es mehrere Angriffe auf das Fort
gegeben hat. Löcher von Kanonenkugeln in den Mauern zeugen bis heute
von diesen untauglichen Versuchen. Im Inneren gibt es auch viel zu
sehen, vor allem den für Rajasthan so typischen Mix aus Hindu- und
Mogulbauweise. Natürlich sind die Palasträume opulent geschmückt,
viele davon sind besonders gut erhalten. Und über diese Brüstung
oder aus jenem Fenster lockt immer wieder der Blick über Jodhpur.
Eine schauerliche
Geschichte darf nicht unerwähnt
bleiben: In der Nähe des Forteingangs befindet sich eine
Tontafel mit 32
Handabdrücken an der Wand. Diese zeigt die
Hände diverser Maharani (= Frauen des Maharajas), die sich mit
dem verstorbenen Maharaja bei lebendigem Leibe verbrennen
ließen (ob freiwillig oder unfreiwillig blieb unerklärt). Die
Engländer haben diesen grausamen und sinnlosen Sati-Kult schon
im 19. Jahrhundert verboten, aber noch 1953 hat sich eine Frau
auf diese Weise verbrennen lassen!
Abschließend sei auf zwei besonders sehenswerte Gebäude im Stadtbild von
Jodhpur noch hingewiesen: Da gibt es zum einen den
Uhrenturm, den die Briten in die Altstadt gepflanzt haben, und
den Umait-Bhawan-Palast am Rande der Stadt (Bild
rechts). Der
Umait-Bhawan-Palast wurde zwischen 1930 und 1943 erbaut und
ist damit der jüngste Palast in der indischen Geschichte. Er
wird als Hotel, Museum und Wohnsitz der Maharajafamilie
genutzt, die sich mit 80 Zimmern begnügt. Leider konnten wir
aus Zeitgründen diese beiden Sehenswürdigkeiten nicht besichtigen.
Übernachtet haben wir nicht in Jodhpur, sondern in Rothegarh,
einem kleinen Dorf am Stadtrand von Luni. Das dortige Hotel
ist ganz im Kolonialstil gehalten. Wieder wurden wir vom
Manager persönlich begrüßt, und wieder genossen wir die
wunderschöne Atmosphäre dieser Oase mitten in der Wildnis.
Besondere Erwähnung verdient die Dachterrasse des Hotels, auf
der lauschige Kanapees zum Relaxen einluden. Neben einem
schönen Ausblick auf die Wüste ließen sich von hieraus
besonders gut Tiere beobachten. An einem Wasserloch wälzten
sich Wasserbüffel im Schlamm, und in den Bäumen hockten bunte
exotische Vögel. 200 Arten soll es dort geben. So lässt es sich aushalten.
Eine weitere Anekdote zur besonderen indischen
Gastfreundschaft sei noch schnell erzählt: Während des Abendessens
kamen wir mit dem Hotelmanager ins Gespräch, der uns auf
Nachfrage erklärte, das Wappen des Hotels - ein rotes Pferd -
hänge mit der Pferdezucht zusammen, die der Inhaber
leidenschaftlich betreibe. Es gebe sogar eine eigene, für die
Region typische Rasse, zu erkennen an den gedrehten Ohren.
Spontan erklärte er sich bereit, uns am nächsten Morgen die
Stallungen zu zeigen, ein Angebot, das wir gerne annahmen.
Nach dem Frühstück fuhren wir dann weiter nach Udaipur am
Picholasee. Der Weg dorthin führt über Ranakpur, einen kleinen
Ort, der ein Mekka für den Jainismus ist. Dort steht der
vielleicht schönste Jaintempel überhaupt. 60 Jahre hat man im
15. Jahrhundert an ihm gebaut, dabei genau 1.440 Säulen
errichtet, auf denen die 29 gewaltigen Dachkuppeln ruhen.
Wände gibt es nicht. Der Tempel besteht aus weißem Marmor und
verfügt über besonders viele aufwändig gestalteten Skulpturen,
die allesamt sehr gut erhalten bzw. restauriert sind. Wie uns
der örtliche Guide erklärte, soll jeder Jain einmal im Leben
hierher kommen.
Interessant ist auch, dass die letzte der
1.440 Säulen absichtlich ein wenig ungerade aufgestellt wurde
(Bild unten rechts).
Nach Ansicht der Erbauer konnte nur Gott etwas perfektes
schaffen, der Mensch hingegen beschwöre Unglück herauf, wenn
er versuche es ihm gleichzutun (siehe den Turmbau zu Babel,
fiel mir da spontan ein). Sehr gut und richtig fanden wir
auch, dass der Tempel nur zu bestimmten Zeiten für Touristen
geöffnet ist, während er ansonsten nur den Jain zum Beten und
Meditieren zur Verfügung steht.
Ranakpur liegt schon mitten im
Aravalligebirge, das die
Landschaft Südrajasthans prägt. Für uns waren die Berge jedoch
kein Geschenk, denn unser Fahrer hatte es sich zur Aufgabe
gemacht, diese ausschließlich im vierten und fünften Gang zu
überqueren. Das ist in den ersten drei Kurven noch witzig,
nervt aber irgendwann gewaltig. Er begriff auch nicht, dass
man herunterschalten muss, wenn man beschleunigen will. Er zog
in schöner Regelmäßigkeit hinter einem Lkw hervor, schaltete
dann - schon auf der Gegenfahrbahn, aber noch bei Tempo 30 -
einen Gang hoch (also vom vierten in den fünften) und wunderte
sich, dass er nicht schneller wurde. Wir hingegen wunderten
uns, dass der Motor nicht ausging. Im untertourigen Bereich
haben die Ingenieure von Toyota offenbar ganze Arbeit
geleistet.
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