Planung und Anreise

2005 hatte ich schon einmal eine Woche in Schottland verbracht. Die positiven Erfahrungen dieser ersten Reise waren Grund genug, noch einmal dorthin zurückzukehren. Wieder allein und wieder für eine Woche, allerdings nicht wieder an die Westküste, sondern diesmal vor allem in den Nordosten. Von der Hauptstadt Edinburgh aus wollte ich bis auf die Orkney Islands vordringen, die bekanntlich vor der Nordküste Schottlands liegen. Hierzu hatte ich mir eine Route ausgesucht, die an zahlreichen Whisky-Brennereien, Burgen und Schlössern vorbei führte. Ein kleiner Abstecher zum Loch Ness war auch eingeplant.

Die Anreise stellte kein Problem dar, denn Ryanair und Germanwings bedienen Edinburgh von den Flughäfen Weeze bzw. Köln/Bonn aus, die beide in erreichbarer Nähe zu meiner Heimat Münster liegen. Und meine bisher ausnahmslos positiven Erfahrungen mit Billigfliegern bestätigten sich erneut. Zwar durften ohne Aufpreis nur 10kg Gepäck mitgenommen werden, wodurch eine gewisse Kreativität beim Packen nötig wurde. Dafür landete der Hinflug aber überpünktlich, was Ryanair übrigens mit einer eigens eingespielten Fanfare feierte (!). Ebenso problemlos war die Übernahme des Mietwagens von Alamo, wenn man beim Modell mal ein Auge zudrückt (ich hatte Golfklasse gebucht und bekam einen Opel Zafira Diesel). Dank mittlerweile einiger Erfahrung gelang auch die Gewöhnung an den Linksverkehr rasch.

Erste Schritte
Der erste Weg in Edinburgh (sprich: "Edinboro") führt normalerweise hinauf zu Edinburgh Castle, dem auf einem Hügel im Zentrum gelegenen Wahrzeichen der Stadt. Dabei hatte ich es etwas eilig, denn über Anfahrt und Check-In im Hotel war es bereits Mittag geworden, und für Punkt 13.00 Uhr kündigte der Reiseführer eine Touristenattraktion allererster Güte an: Das Abfeuern einer echten Kanone vom Burghof aus! Angeblich stellen die Einwohner Edinburghs täglich ihre Uhr danach. Täglich? Nein, nicht ganz, denn wie ich bereits durch einen Aushang am Ticketschalter erfuhr, ist sonntags Ruhetag, und ich war - natürlich - ausgerechnet an einem Sonntag dort. Gleichwohl lohnte der Besuch der Burg, allein schon wegen des tollen Ausblicks über die Stadt:

Sehr interessant fand ich auch die kleine Ausstellung in der Schatzkammer mit der Königskrone von Robert the Bruce und dem Krönungsstein von Scone (dazu später mehr). Auch das Rahmenprogramm stimmte - es wurde Dudelsack gespielt, und in der Schlosskapelle fand sogar eine Hochzeit statt.

Princes Street Gardens
Einen besonders schönen Blick auf die Burg hat man von den Princes Street Gardens aus, einem herrlichen Grünstreifen mitten in der Stadt, der nördlich unmittelbar an den Burghügel angrenzt:

Überhaupt ist es bei schönem Wetter einfach herrlich dort. Man kann sich mit einem Softeis bewaffnet auf eine Bank setzen und den Blick auf die Silhouette der oberhalb gelegenen Altstadt genießen (siehe die Grafik ganz oben am Kopf dieser Seite), Schatten unter einem der großen Bäume suchen oder den zahlreichen Straßenkünstlern zusehen bzw. -hören. Auf den Wiesen wurde allerlei Sport getrieben, und trotzdem herrschte in dem großzügigen Areal eine angenehme Ruhe.

Royal Mile
Deutlich belebter als die Princes Street Gardens ist der "Royal Mile" genannte Altstadtbezirk Edinburghs. Hier wird jedem etwas geboten, denn Geschäfte, Pubs und Sehenswürdigkeiten reihen sich nur so aneinander. Ich besuchte zuerst das Museum of Scotland, das schon wegen seiner eigenwilligen Architektur selbst eine Sehenswürdigkeit ist:

Aber auch die Ausstellungen, in denen  die tragische schottische Geschichte nacherzählt wird, sind sehr sehenswert. Besonders beeindruckt haben mich zwei kleine und daher auf den ersten Blick unscheinbare Exponate: Zum einen die Lewis Chessmen (Bild links), im 12. Jahrhundert aus Walelfenbein geschnitzte Schachfiguren, die 1831 auf der Insel Lewis in einer Sanddüne gefunden wurden. Sie haben eine sehr mystische Ausstrahlung. Und zum anderen das vielleicht bedeutendste Objekt des Museums, der Monymusk-Schrein, ein nur handflächen-großes Metallköfferchen aus dem 8. Jahrhundert, in dem einst eine Reliquie aufbewahrt wurde (Bild rechts).

Weitere Attraktionen entlang der Royal Mile bzw. in ihrer unmittelbaren Nähe sind das Scott Monument und die St. Giles Cathedral. Das Scott Monument ist nicht etwa allen Schotten gewidmet, sondern dem schottischen Autor Sir Walter Scott (wie man schon an der Schreibweise erkennen kann, denn ein Schotte ist ein "Scot", mit nur einem "t" am Ende). Es handelt sich um einen Turm, der 1841-44 errichtet wurde, also bereits kurz nach Scotts Tod 1832. Das Design möchte ich einmal als "phantasievoll" bezeichnen. In welcher Beziehung es zu Sir Walter steht, hat sich mir nicht erschlossen. An der imposanten St. Giles Cathedral wurde seit 1162 immer wieder mal gebaut, ihr heutiges Aussehen im spätgotischen Stil zeigt sie im wesentlichen seit 1495. Man sollte unbedingt hineingehen, schon wegen der wunderbaren Glasfenster, die allerdings zeitgenössischen Ursprungs sind.

Scott Monument:
 


St. Giles Cathedral:
 

New Town
Unglaublich, aber wahr: Nach all diesen Sehenswürdigkeiten fand ich noch die Kraft, einer Empfehlung des Reiseführers zu folgen und einen kleinen Spaziergang nach New Town anzutreten, dem nördlich der Royal Mile gelegenen, jüngeren Stadtteil Edinburghs. Im Gegensatz zur Altstadt herrscht dort Wohnbebauung vor, und es geht vergleichsweise ruhig zu. Am Moray Place findet man die vielleicht schönste (und - natürlich - auch teuerste) urbane Wohngegend von ganz Schottland:

Obwohl sich ein Besuch von New Town definitiv lohnt, empfehle ich doch, ihn VOR der Royal Mile in Angriff zu nehmen oder auf den zweiten Tag zu verschieben, denn so ganz mit der Royal Mile mithalten kann New Town dann doch nicht. Für mich führte der Anmarsch immerhin gleichzeitig zurück zum Hotel. In meinem kleinen Zimmer hatte ich dann Gelegenheit, mich von den Strapazen des Tages zu erholen und - Gott sei es geklagt - auf einem Bildschirm in Postkartengröße die 0:1-Niederlage unserer Jungs im EM-Finale mit anzusehen.

Zweiter Tag
Am nächsten Morgen wollte ich eigentlich in aller Frühe den Sonnenaufgang vom Calton Hill aus genießen, einem Aussichtspunkt mit großartigem Blick über die Stadt. Aber leider regnete es, und so entschloss ich mich, zunächst dem Neuen Parlament einen Besuch abzustatten. Man kann das Gebäude frei betreten, und an diesem sitzungsfreien Tag hatte ich es für mich allein (Bild). Über die Wiedereröffnung des schottischen Parlaments und die Entstehung des neuen Parlamentsgebäudes könnte man einen Roman schreiben. In aller Kürze sei gesagt, dass mit dem "Act of the Union" 1707 nicht nur die schottische Unabhängigkeit fiel, sondern auch das eigene Parlament obsolet wurde. Erst nach der Wahl 1997 machte die Labour Party ein Wahlversprechen wahr und ließ die Schotten in einem Referendum über mehr Unabhängigkeit abstimmen. Der Ausgang musste jedem klar sein, der auch nur im Ansatz etwas über die schottisch-englische Geschichte weiß, und so nahm das schottische Parlament 1999 seine Arbeit wieder auf. Zunächst in einem alten Gebäude an der Royal Mile, seit 2004 nun in dem Neubau am Holyrood Hill, dessen Notwendigkeit von Anfang an umstritten war und angesichts explodierender Baukosten immer umstrittener wurde. Und dass das fertige Gebäude jedermanns Geschmack getroffen hat, kann man auch nicht sagen:

Holyrood Park
Direkt gegenüber vom Neuen Parlament liegt der Palace of Holyrood House, der offizielle Sitz der Queen in Schottland. Hier hatte ich Pech, denn ausgerechnet an diesem Wochenende hielt die Queen dort ihre alljährliche Gardenparty ab, weshalb die sonst der Öffentlichkeit zugängliche Anlage weiträumig abgesperrt war. Immerhin blieb der riesige Holyrood Park befahrbar, und vom dortigen Aussichtspunkt "Arthur's Seat" bot sich bei mittlerweile wieder besserem Wetter noch einmal ein schöner Ausblick auf Edinburgh:

Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass Edinburgh eine wunderschöne Stadt ist. Wenn man aus Münster kommt - in aller Bescheidenheit offiziell die lebenswerteste Stadt der Welt - liegt die Messlatte schon sehr hoch, aber Edinburgh spielt mindestens auf Augenhöhe mit. Nicht nur angesichts der interessanten Sehenswürdigkeiten, sondern wegen des historisch anmutenden, sauberen und einladend-warmen Stadtbildes insgesamt. Dieser Meinung ist übrigens auch die UNESCO, die Alt- und Neustadt von Edinburgh zum Welterbe erklärt hat. Und vielleicht noch ein kleines Beispiel zum Schluss: Während meiner Fahrt stadtauswärts kam ich zufällig am Stewart's Melville College vorbei. Es spricht Bände über Edinburgh, dass der Reiseführer diese spektakuläre Anlage noch nicht einmal erwähnte: